Robert Messer
Der Co-Präsident der Musikgesellschaft Kölliken im Interview
Nazar und Andriana S. mit ihrem Sohn (links) sowie Martina und Patrick Sch. mit ihren Kindern.
Bild: zvg
Anlässlich der Zofinger Flüchtlingstage 2023 berichtet die Integrationsfachstelle Zofingen über eine Gastfamilie, die eine geflüchtete ukrainische Familie bei sich aufnahm.
Zofingen Am 17. und 18. Juni finden die diesjährigen Flüchtlingstage Zofingen unter dem Motto «Mitten in der Gesellschaft» statt. «Gastfamilien sind sehr wertvoll für Geflüchtete», weiss Maria Weber, Co-Leiterin der Regionalen Integrationsfachstelle Zofingen. Die Unterbringung von Flüchtlingen inmitten der Gesellschaft führe dazu, dass Integration besonders gut gelingt.
«Dabei geht es um mehr als ein Dach über dem Kopf: Gastfamilien beantworten Alltagsfragen, stehen bei Behördengängen zur Seite, ermöglichen die neue Sprache zu üben und unterstützen bei der Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung sowie Arbeits- und Wohnungssuche», erklärt sie. Ausserdem schaffe diese Unterbringungsform sowohl für die Geflüchteten als auch für die lokale Bevölkerung einen Mehrwert.
Sechs Monate lang beherbergte Familie Sch. eine ukrainische Flüchtlingsfamilie. Gleich nach Kriegsausbruch sei für Patrick Sch. als Geschichtslehrer klar gewesen: «Das ist Kalter Krieg 2.0. Wir nehmen Flüchtlinge auf», erzählt er; verheiratet mit Martina und Vater von zwei kleinen Jungs. Gesagt, getan – über eine von englischen Studenten geführte Online-Plattform kam man schnell in Kontakt mit Familie S. aus Lviv, einer Stadt in der Westukraine.
Nazar S. (32), verheiratet mit Andriana (32) und Vater eines kleinen Sohnes, hatte die Ukraine bereits kurz vor Kriegsausbruch verlassen und war nach Polen geflüchtet. Nach den ersten Bombenangriffen auf ukrainische Städte flüchtete auch Andriana mit ihrem Sohn und ihrer Mutter mit dem Zug Richtung Westen. Sie hatten Glück und kamen wohlbehalten bei Nazar in Polen an. Die kleine Familie war wieder vereint.
Während Andrianas Mutter nach kurzer Zeit in die Ukraine zurückkehrt, verbringt Familie S. einige Monate in Polen. «Irgendwann haben wir realisiert, dass wir wohl nicht so schnell nach Hause zurückkehren können», erzählt Nazar. Daraufhin habe er beschlossen, einen Job zu suchen – und zwar in einem deutschsprachigen Land: «Weil ich ein bisschen Deutsch kann».
Im Mai 2022 kamen sie bei Familie Sch. an. Im unteren Geschoss des mehrstöckigen Hauses in der Zofinger Altstadt bewohnten Nazar, Andriana und ihr Sohn sechs Monate lang das Gästezimmer mit Bad. «Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden und viel miteinander unternommen», erzählt Patricks Frau Martina. Einzig der Kühlschrank in der Küche, den beide Familien gemeinsam benutzten, sei immer furchtbar vollgestopft gewesen, meinen alle vier schmunzelnd. Die drei Jungs hätten gleich schön miteinander gespielt, obwohl sie sich nicht verständigen konnten. «Motorgeräusche scheinen international zu sein», lacht Patrick.
Die Bürokratie sei nicht so schlimm gewesen wie gedacht: «Wir haben uns immer gut und kompetent beraten gefühlt», erzählt Martina. Die Flüchtlinge seien schnell in Besitz des Status S und zu Geld zum Leben gekommen. Über ein Temporärbüro fand Nazar nach zweimonatiger Suche einen Job und im November konnte Familie S. eine eigene Wohnung beziehen – auch wenn sich die Wohnungssuche eher schwierig gestaltete, da die ukrainische Familie keine finanzielle Sicherheit bieten konnte.
«Wir sind sehr dankbar, dass wir hier sein können», meint Nazar. «Hier fühlen wir uns sicher.» Trotzdem wollen sie wieder zurück zu ihrer Familie in die Ukraine – «so schnell wie möglich», meint Andriana. Auch für Familie Sch. waren die sechs Monate des Zusammenlebens ein erfolgreiches Experiment. «Wir mussten raus aus unserer Komfortzone, haben aber auch sehr profitiert», meint Patrick rückblickend.
Inmitten der Gesellschaft aufnehmen könne man Flüchtlinge nicht nur als Gastfamilie, sondern auch durch freiwilliges Engagement, erzählt Maria Weber. Anlaufstelle für Freiwillige in der Region Zofingen, die in ihrer Freizeit Asylsuchende und Flüchtlinge bei der Integration unterstützen möchten, ist die Regionale Integrationsfachstelle Zofingen. Dort werden Fragen und Anliegen rund um freiwilliges Engagement bearbeitet, Angebote von Freiwilligen für Asylsuchende und Flüchtlinge erfasst und koordiniert, Freiwillige bei der Wahl eines geeigneten Einsatzes beraten und aktuelle Einsatzmöglichkeiten publiziert. Weitere Infos und Kontakte unter: zofingenregio.ch/integration.
An den Flüchtlingstagen treten im Kanton Aargau die Integrationsfachstellen, Hilfswerke, Kirchen, Freiwilligenorganisationen und Vereine durch gemeinsame Aktionen an die Öffentlichkeit, um auf verschiedene Aspekte der Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen hinzuweisen.
Gemeinsam mit den Reformierten, Röm.-Katholischen und Evangelisch-methodistischen Kirchgemeinden Zofingen, dem Integrationsnetz Zofingen, dem Kirchlich Regionalen Sozialdienst Aargau-West, dem Katholischen Frauenverein Zofingen, der IG Deutsch Zofingen, der Stadtbibliothek und der Leserei Zofingen organisiert die Regionale Integrationsfachstelle am Samstag, 17. Juni, zwischen 8 und 12 Uhr eine Standaktion: Neben Informationen zum Thema Gastfamilien und freiwilliges Engagement gibt es auf dem Postplatz Backwaren und internationale Spezialitäten zu kaufen. Der Erlös geht an die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Um 10 Uhr präsentiert die Leseanimatorin der Stadtbibliothek in der Stadtkirche eine Geschichte für Kinder ab vier Jahren. Ab 11.45 Uhr gibt es ein «meet+eat» mit Spezialitäten aus Ungarn im Reformierten Kirchgemeindehaus. Am Sonntag, 18. Juni, findet um 9.30 Uhr in der Stadtkirche Zofingen ein ökumenischer Gottesdienst zum Flüchtlingssonntag statt.
pd
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