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Der Ökonom und Glücksforscher Mathias Binswanger war vergangenen Samstag in Zofingen zu Besuch.
Bild: Gemma Chillà
Im Rahmen des Campus Tages im Spital Zofingen referierte am 4. November der Ökonom und Glücksforscher Mathias Binswanger über «Glück im Alter».
Zofingen Bis zum letzten Platz war der Lindensaal am Samstagnachmittag gefüllt. In diesem hielt Mathias Binswanger sein Referat «Glück im Alter». Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHNW in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Zudem hat er bereits diverse Bücher veröffentlicht. Eines davon ist «Die Tretmühle des Glücks», welches ein Schweizer Bestseller wurde.
Laut der Glücksforschung sind es im Wesentlichen zwei Aspekte, die ausmachen, was wir als Glück und Zufriedenheit bezeichnen, erklärt Binswanger. «Das eine nennen wir die allgemeine Lebenszufriedenheit. Eine Art Selbsteinschätzung. Die Antworten darüber, ob man zufrieden ist, sind an verschiedenen Tagen wahrscheinlich dieselben.» Der zweite Aspekt, das emotionale Wohlbefinden, sei viel kurzfristiger und variiere im Tagesverlauf. «Ein glückliches Leben besteht einerseits darin, dass ich mit dem Leben zufrieden bin. Andererseits, dass ich viele kurzfristige Glücksmomente erleben darf und relativ wenige kurzfristige Unglücksmomente erleben muss», erklärt der Referent.
«Menschen sind relativ zufrieden, wenn sie jung sind, kommen dann in der Mitte des Lebens in eine Art Wellental und werden aufs Alter hin, insbesondere nach der Pensionierung, wieder glücklicher», erklärt Binswanger den Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Alter. Diese Feststellung wird als die U-Kurve bezeichnet. Studien, die sich mit diesem Phänomen beschäftigt haben, nennen laut Binswanger folgende Gründe dafür: In jungen Jahren hat man noch relativ viel Zeit, um Dingen nachzugehen, die man gerne macht, kann dies unbeschwert tun und der Leistungsdruck ist noch nicht so hoch. Auch sind die Möglichkeiten viele, das Leben steht einem noch offen. «Das ist toll, schafft auf der anderen Seite aber auch den Zwang, noch alles Mögliche tun zu müssen», meint Binswanger.
Gegen die Lebensmitte nimmt der Leistungsdruck vermehrt zu; der Drang, Karriere zu machen, ist gross. Dazu kommt die Doppelbelastung Familie und Beruf. Die Zeit für Sachen, die einem Freude bereiten, kommt ebenfalls zu kurz. «Das wird aufs Alter hin wieder besser, insbesondere auch weil der Stress zurückgeht», so der Glücksforscher. Der Zwang, noch alles erleben zu müssen, nimmt ab: «Ab einem gewissen Alter finden sich die Menschen mit der Situation, in der sie sind, ab. Man weiss, dass nicht mehr alles erreicht werden kann und versucht, aus dem Bestehenden das Beste zu machen.» Das führe dazu, dass die Menschen zufriedener werden, erklärt Binswanger – denn, sie werden realistischer.
Laut einer Studie bleibe die Lebenszufriedenheit vor und nach der Pensionierung konstant. «Also ist es nicht die Tatsache, dass man aufhört zu arbeiten, die plötzlich einen Glückssprung nach oben verursacht, sondern ein allmählicher Prozess. Der natürlich dadurch gefördert werden kann, dass man pensioniert wird und wieder mehr Zeit hat», erläutert Binswanger.
Bei einer deutschen Studie wurden Frauen und Männer gesondert zur Lebenszufriedenheit befragt. «Da scheint, dass Frauen immer etwas glücklicher sind als Männer. Aufs Alter hin kehrt sich das aber um», meint Binswanger. Auf einer Grafik zeigt er auf, dass die zwei Werte, etwa nach dem 65. Lebensjahr, auseinanderdriften. Das sei ganz leicht zu erklären, denn: Frauen werden im Durchschnitt wesentlich älter. Dadurch wurden erstens weniger Männer befragt und zweitens waren viele dieser Männer in einer Partnerschaft, während die Frauen gleichzeitig häufig verwitwet waren. Das generiert Einsamkeit – eine Thematik, welche sich zunehmend zum Hauptfeind des Glücks entwickelt, wie Binswanger erklärt. Einsamkeit sei auch schon bei jüngeren Menschen ein Thema und würde mit dem Alter zunehmen. Das habe laut Binswanger mit dem Wohlstand in der Schweiz zu tun. Die materielle Versorgung verbessert sich und man ist nicht mehr auf andere Menschen angewiesen. «Heute muss ich nicht mal mehr aus dem Haus gehen, ich kann alles online bestellen und mir wird alles geliefert. Ich muss mir Mühe geben, damit ich nicht vereinsame», erläutert der Professor.
«Kurz vor dem Lebensende, also ab 80, ist es so, dass die Lebenszufriedenheit wieder etwas abnimmt. Das ist auch nicht verwunderlich und liegt an der Gesundheit», erzählt Binswanger. Dass Multimorbidität und soziale Verluste zunehmen, ist nicht zu vermeiden. Die Varianz der Zufriedenheit ist aber sehr gross. «Es ist entscheidend, wie mit der Situation umgegangen wird, da hilft die Resilienz. Der Effekt besteht nicht darin, dass man die Zufriedenheit steigert, sondern, dass man mit den Situationen umgehen kann», meint der Ökonom.
Aber was zeichnet glückliche, Menschen im hohen Alter aus? Bei einer Befragung gaben laut Binswanger 80 % an, dass sie täglich mindestens 30 Minuten einer körperlichen Aktivität nachgehen, sofern möglich. 90 % der Befragten nannten ausserdem einen Menschen, zu dem sie eine enge Beziehung haben. Und ein weiterer Faktor eines glücklichen Lebens: alles nur im Mass. «Man geniesst das Leben, aber übertreibt es nicht. Die Zustände sind immer in einem gewissen Gleichgewicht, das ist sowieso das, was allgemein für das Glück gilt», erklärt der Glücksforscher.
Und tatsächlich: Glücklichsein ist vererbbar. Zumindest teilweise. Glücksforscher gehen davon aus, dass unsere Gene zwischen 30 und 50 % beeinflussen, wie glücklich wir sind. «Es fällt nicht allen Menschen gleich leicht, glücklich zu sein. Dennoch kann man das Glas halb voll oder halb leer sehen. Wenn man es halb voll sieht, heisst das immerhin, dass ich mehr als 50 % selbst in der Hand habe und etwas Entscheidendes dazu beitragen kann, ob ich ein glückliches Leben führe und nicht einfach von Natur aus ein unglücklicher Mensch bin», so Binswanger.
Von Gemma Chillà
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